Der nun folgende Abschnitt verdankt seine Entstehung völkerkundlich einmaligen und faszinierenden Aufzeichnungen. Im Jahr 1995 verfasste Johnny Tiggangay aus Tinglayan eine Zusammenstellung der Gebräuche und Traditionen der Kalingas in englischer Sprache. Das 51-seitige maschinengeschriebene Unikat erhielt 0tmar Holz, eine Geste der Anerkennung für seine Arbeit, gleichzeitig aber auch ein Ausdruck des eigenen Stammesbewußtseins. Das Vorwort schließt mit den Worten: "Dieses Buch dient als Beispiel und Anregung für alle Leser, die andere Völker lieben und sich um sie bemühen."
Die Bewohner von Tinglayan erklären ihre Herkunft mit Hilfe von Sagen, deren Wahrheitsgehalt dort allerdings noch von den Alten verbürgt wird. Im Folgenden nun im Auszug aus der Schöpfungsgeschichte der Kalingas. Die Welt war überflutet und es gab keine Menschen. Als das Wasser zurückging, erschien auf einem Berg eine wunderbare, nackte Frau. Sie fror und hielt Ausschau nach Feuer, und dabei erblickte sie auf einem fernen Berg Rauch. Da sie selbst das große Wasser nicht überqueren konnte, schickte sie ihren Hund, der ihr das Feuer brachte. Am andern Tag erhielt sie Besuch von einem Mann, der wiederum von einem anderen Berg kommt und sich an ihrem Feuer wärmen möchte. Und damit beginnt die Geschichte der Menschen von Tinglayan.
Heute sind etwa 95% der Bewohner Christen, was vor allem auf die Ausbreitung der römisch-katholischen Kirche auf den Philippinen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Dennoch existieren die alten Sitten und Gebräuche weiter und bestimmen bis heute beinahe ausschließlich das Leben der Menschen. Die wichtigen Lebensabschnitte eines Menschen werden durch Verhaltensnormen und Rituale streng und eindeutig reglementiert. So besteht der erste Schritt zur Heirat darin, dass der zukünftige Bräutigam und seine Freunde in den Wald gehen, einen Baum fällen, die Rinde abschälen und das Holz vor das Haus der Angebeteten legen, für die diese Aktion allerdings nicht ganz überraschend kommt. Wird nun im Haus der Frau ein Tier geschlachtet, so bedeutet dies, dass der Heiratsantrag angenommen wird. Die Freunde werden nun zu einem Vorhochzeitsfest eingeladen - eine etwas andere Form des Polterabends. Auf der anderen Seite führt die Missachtung der Regeln zu negativen Folgen. Wenn zum Beispiel eine schwangere Frau nach oben greift, um Früchte zu pflücken, so wird das Kind schielen. Die Aufzeichnungen von J. Tiggangay umfassen 79 Gebräuche und Rituale, die das Leben in der Gemeinschaft und das Verhältnis zu anderen Stämmen regeln.
Die für Tinglayan jedoch mit Abstand wichtigste Vereinbarung ist der Bodong, der Friedensvertrag. Um seine Bedeutung ermessen zu können, muss man zunächst einmal wissen, dass in den abgelegenen Gebieten der Philippinen das alte, ungeschriebene Stammesrecht über den staatlichen Gesetzen steht. Und dieses Stammesrecht basiert auf dem einfachen Rachegedanken. Vergehen, an denen nur Dorfbewohner beteiligt sind, regelt ein Ältestenrat. Anders sieht die Sache aus, wenn ein Bewohner eines anderen Dorfes in einen Vorfall verwickelt ist, bei dem Blut fließt. Diese Konstellation führt zur Blutrache, es geht um die Stammesehre, das heißt es kommt zum Stammeskrieg. Der Bodong nun besagt, daß , bevor sich das Dorf in den Krieg begibt, eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein müssen. Dazu gehören verschiedene magische Rituale.